Wie die neue US-Administration das Verhältnis zu den UN reparieren kann.
Autorin: Stéphanie Fillion
Nach vier Jahren Trump-Regierung ist die Beziehung der Vereinigten Staaten zur UN reif für eine Wiederbelebung. Stichwort: Pariser Klimaschutzabkommen, Nuklearabkommen mit dem Iran, UN-Menschenrechtsrat, UNESCO, UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), UN-Bevölkerungsfonds und Weltgesundheitsorganisation. Doch was genau müsste die neue Biden-Harris-Regierung jetzt tun, um wieder mit einer Reihe von UN-Agenturen und -Initiativen zusammenzuarbeiten?
„Die Biden-Regierung kann Vieles rückgängig machen“, meint Larry Johnson, ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär für Rechtsangelegenheiten und Professor an der Columbia Law School. „Aber es wird politischen Willen brauchen.“
Pariser Klimaschutzabkommen
President Elect Biden hat bereits im Wahlkampf betont, dass der Klimawandel für ihn oberste Priorität hat. „Das erste, was ich am ersten Tag tun würde, wäre dem Pariser Klimaabkommen wieder beizutreten.“ Ein Versprechen, das Biden seitdem regelmäßig wiederholt hat. Nun heißt es auf der Webseite des Biden-Übergangsteams: „Er wird die Vereinigten Staaten nicht nur wieder auf das Pariser Abkommen zum Klimawandel verpflichten – er wird noch viel weiter gehen. Er arbeitet daran, alle entscheidenden Länder dazu zu bringen, ihre nationalen Klimaziele noch ehrgeiziger zu formulieren.“
Die USA zogen sich am 4. November offiziell aus dem Pariser Abkommen zurück. Paul Watkinson, Klimaexperte und Teil des französischen Verhandlungsteams in Paris, ist davon überzeugt, dass es für die USA leicht wäre, dem Abkommen wieder beizutreten. Da „jede Partei, die nicht Vertragspartei des Pariser Abkommens ist, dem Abkommen beitreten kann, sobald es in Kraft getreten ist", könnten die Vereinigten Staaten einfach wieder beitreten, indem sie die UN über die Annahme der Ratifizierung informieren.
Die politischen Rahmenbedingungen einer US-Rückbesinnung auf das Klimaabkommen erscheinen allerdings komplizierter. Viele teilnehmende Länder haben ihre Emissionsziele für 2030 mittlerweile revidiert. Die Biden-Administration müsste daher zunächst ihr eigenes Ziel zur Reduzierung der Kohlenstoffemissionen festlegen. Hätten die USA das Pariser Klimaschutzabkommen nicht aufgegeben, „hätten sie dieses Ziel jetzt revidieren und ein Ziel für 2030 festlegen müssen“, mein Watkinson. „Die internationale Gemeinschaft hält trotz des US-Austritts, an der Pariser Vereinbarung fest“. Doch die vollständige Umsetzung steht erst am Anfang. „Die Schlüsselfrage ist also, was jetzt geschieht". Die Rolle der USA in diesem Moment sei dementsprechend „kritisch“.
Nuklearabkommen mit dem Iran
Noch komplizierter ist die politische Lage rund um das Nuklearabkommen mit dem Iran. Die Trump-Regierung zog sich zwar 2018 von diesem Abkommen zurück, behauptete diesen Sommer allerdings, noch immer Vertragspartei zu sein. Zudem argumentierte die US-Regierung, dass sie die Wiedereinführung der UN-Sanktionen gegen den Iran auslösen könne, da der Iran sich nicht an das Nuklearabkommen halte. Diese Behauptung wurde von einer Mehrzahl anderer Mitglieder des UN-Sicherheitsrates widerlegt, der den Iran-Deal durch eine Resolution im Jahr 2015 genehmigt hatte. Die anderen Parteien des Nuklearabkommens sind Großbritannien, China, Frankreich, Deutschland und Russland. „Alles, was es aus rechtlicher Sicht von den USA braucht, ist die Rückkehr zur Einhaltung des Abkommens, die Rücknahme dessen, was die Trump-Administration in Bezug auf die Wiedereinführung von Sanktionen getan hat und die Rückkehr zum Wortlaut des Abkommens“, meint der UN-Rechtsexperte Johnson. „Rechtlich notwendig“ sei es nicht einmal, dies dem UN-Sicherheitsrat mitzuteilen.
Die Behauptung der USA, dass sie den sogenannten „Snapback-Mechanismus“ auslösen könne, um die UN-Sanktionen erneut anzuwenden, wurde bereits im August im Sicherheitsrat durch Briefe debattiert, die die meisten Mitgliedstaaten dem indonesischen Botschafter und damaligen Ratspräsidenten Dian Triansyah Djani verschickten. In vielen dieser Briefe wurde argumentiert, dass die USA rechtlich nicht mehr an der Vereinbarung beteiligt seien, so dass die Maßnahmen der USA - zu denen unter anderem auch die Vorlage eines Resolutionsentwurfs zur Auslösung des Snapback-Mechanismus gehörte – als null und nichtig betrachtet wurden. Botschafter Djani beschloss, keine Maßnahmen gegen die Bemühungen der USA zu ergreifen. Stattdessen sagte er: „Angesichts des fehlenden Konsenses unter den Ratsmitgliedern konnte die Präsidentschaft in dieser Frage keine weiteren Maßnahmen ergreifen.“ UN-Rechtsexperte Johnson meint daher: „Die Briefe sind wichtig, aber es gab keinen Ratsbeschluss als solchen und schon gar keine Resolution.“ Da der damalige Ratspräsident nicht abschließend klärte, ob die USA Mitglied des Abkommens waren oder nicht, ist Johnson der Ansicht, dass die Vereinigten Staaten nun nicht einmal die Zustimmung des Rates benötigen, um noch als Teil des Abkommens betrachtet zu werden.
In diesem Zusammenhang berichtete die Washington Post kürzlich, dass Biden eine Rückkehr zum Atomdeal mit dem Iran nur dann beabsichtigt, wenn der Iran zur Einhaltung des Abkommens zurückkehrt. Am 11. November enthüllte die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) allerdings, dass der Iran seine Lagerbestände an schwach angereichertem Uran weiter ausbaut und derzeit das Zwölffache des im Atomdeal von 2015 festgelegten Grenzwerts erreicht hat, was die Nichteinhaltung des Abkommens belegt.
UN-Menschenrechtsrat (HRC)
Die Vereinigten Staaten verließen den Menschenrechtsrat 2018 inmitten ihrer dreijährigen Amtszeit unter Berufung auf die angebliche Voreingenommenheit des Gremiums unter anderem gegenüber Israel. Der Rat ist ein zwischenstaatliches Gremium, das sich aus 47 Mitgliedern zusammensetzt, die auf der Grundlage der fünf Regionalgruppen der UN alle drei Jahre im Rotationsverfahren gewählt werden.
Wenn die USA wieder Mitglied des Rates werden möchten, müssten sie also gewählt werden. Die Geschichte lehrt, dass die USA einen Wahlerfolg nicht als selbstverständlich ansehen sollten. Schon im Mai 2001 verloren die USA eine Wahl zur Menschenrechtskommission, dem Vorgängergremium des Rates. „Die USA haben ihren Sitz vor dem Terroranschlag vom 11. September 2001, der US-Invasion im Irak und ihren Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, im Irak und in Guantánamo Bay verloren“, meint Mona Ali Khalil, eine ehemalige leitende Juristin der UN. Die USA wurden jedoch in den Jahren 2009, 2012 und 2017 erneut gewählt. Als sie 2018 plötzlich abtraten, wurde ihr Sitz von Island übernommen.
Der Rat wird regelmäßig dafür kritisiert, dass in ihn Länder gewählt werden, die gegen die Menschenrechte verstoßen. In der letzten Wahl im Oktober gewannen Russland und China Sitze, trotz des Widerstands von Organisationen wie Human Rights Watch. Saudi-Arabien, das ebenfalls von Human Rights Watch angeprangert wurde, konnte jedoch keinen Sitz gewinnen. Venezuela und die Philippinen, ebenfalls fragwürdige „Menschenrechtsschützer“, gehören ebenfalls dem Rat an.
Die vermeintliche Voreingenommenheit gegen Israel ist ein Argument, das bereits von früheren US-Regierungen gegen das wichtigste UN-Menschenrechtsgremium vorgebracht wurde. 2006 zitierte Präsident George W. Bush die Voreingenommenheit des Gremiums im Zuge des US-Boykotts der Ratswahlen.
Mona Ali Khalil hält das Argument der Voreingenommenheit gegen den Rat für schwach: „Während der Menschenrechtsrat in der Tat aufeinanderfolgende Resolutionen verabschiedet hat, um Verletzungen des Völkerrechts in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalem, anzugehen, verabschiedet der Rat jährlich aber auch andere länderspezifische Resolutionen zu Verletzungen in Belarus, Burundi, DVRK, Iran, Myanmar, Nicaragua, Sri Lanka, Südsudan, Sudan, Syrien, den Philippinen, Venezuela, Jemen und anderswo.“
Die Frage, ob sich die Vereinigten Staaten zur Wahl stellen, muss von der Biden-Regierung also gut durchdacht werden. UN-Rechtsexperte Johnson geht davon aus, dass die USA dies eher früher als später tun werden, um Bidens Engagement für die internationalen Menschenrechte zu signalisieren. „In Anbetracht von Bidens Bilanz als Befürworter der Menschenrechte gehe ich davon aus, dass sie sofort eine allgemeine Erklärung zu den Menschenrechten abgeben wollen, [und somit signalisieren] dass die USA wieder auf der Menschenrechtsbühne stehen", erklärt Johnson. „Dies ist eine politische Frage, keine rechtliche.“ Oder, wie Khalil es ausdrückt, die USA werden „alle potenziellen politischen Risiken im eigenen Land gegen die unvermeidlichen Risiken abwägen müssen, ihre Führungsrolle auf der internationalen Bühne einzubüßen.“
UNESCO
Auch die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) verließen die USA mit Hinweis auf Voreingenommenheit gegenüber Israel. Im Jahr 2011, nachdem die UNESCO Palästina als Mitglied aufgenommen hatte, stellten die USA die Finanzierung der Organisation ein, da die USA gesetzlich verpflichtet sind, dies mit jeder UN-Einheit zu tun, die Palästina formell anerkennt oder „der Palestine Liberation Organisation den gleichen Status wie UN-Mitgliedsstaaten einräumt.“
Nach der Entscheidung der Obama-Regierung 2011 ihre Beitragszahlungen an die UNESCO einzustellen, zog Präsident Trump zog die USA im Jahr 2018 offiziell aus der UNESCO zurück. Die Vereinigten Staaten blieben aber weiterhin Beobachter. Bislang hat President Elect Biden keinen US-Plan für die UNESCO vorgelegt, erklärt Jordie Hannum, Exekutivdirektorin der Better World Campaign, einer überparteilichen Organisation, die sich auf die Beziehung zwischen den USA und der UN konzentriert: „Ich kann mir den Wiedereintritt der Regierung jedoch als ersten Schritt vorstellen. Was die Finanzierung der Organisation betrifft, so müsste sie entweder die beiden Gesetze aus den 1990er Jahren aufheben oder sie ändern.“
Die USA hatten die UNESCO bereits 1984 schon einmal verlassen. Im Jahr 2003 traten die USA ihr wieder bei und begannen erneut mit Beitragszahlungen. Ob die USA wieder ein vollwertiges Mitglied werden dürfte stark von Bidens politischer Position gegenüber Israel abhängen.
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
Die Weltgesundheitsorganisation wurde von Präsident Trump wegen ihrer angeblichen Voreingenommenheit gegenüber China und ihrer Rolle bei der Coronavirus-Pandemie unter Beschuss genommen. Im Juli begannen die USA formell mit dem Prozess des Austritts aus der Organisation. Da ein Austritt jedoch erst ein Jahr später in Kraft tritt, müssten die USA nun nur ihre Austrittserklärung annullieren, um vollwertiges Mitglied der WHO zu bleiben. Da der Rückzug ein Jahr dauert, „können die USA ihre Position ändern und diesen Rückzug zurückziehen, bevor er am 6. Juli 2021 wirksam wird“, erklärt Hannum.
Jedoch: „Wichtiger aus Sicht der WHO ist, ob die USA als Mitglied ihre volle Finanzierung wieder aufnehmen“, meint Hannum. „Im Moment besteht ein Finanzierungsloch von 300 bis 400 Millionen Dollar. Das ist Geld, das die USA in der Pandemie zugesagt haben. Diese Beiträge sind entscheidend. Sie dienen den amerikanischen Interessen, und es ist wichtig, dass wir uns nicht nur wieder anschließen, sondern auch sicherstellen, dass wir sie zurückerstatten, denn im Moment befindet sich die WHO in einer verzweifelten Notlage.“
UNRWA & UNFPA
Die USA könnten auch wieder mit dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten und dem UNFPA, dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, zusammenarbeiten. Doch dazu müssten auch diese Organisationen erneut finanziert werden. Das aber ist „eine Frage des politischen Willens“, betont Johnson. Rechtliche Probleme bestünden hier nicht. (Einem PassBlue-Bericht zufolge floriert der UNFPA auch ohne US-Gelder).
Die designierte US-Vizepräsidentin Kamala Harris hat dabei grundsätzlich zugesagt, die Trump-Entscheidung des Rückzugs von UNRWA rückgängig zu machen. "[Wir] werden sofortige Schritte unternehmen, um die wirtschaftliche und humanitäre Hilfe für das palästinensische Volk wiederherzustellen, die andauernde humanitäre Krise in Gaza anzugehen, das US-Konsulat in Ost-Jerusalem wieder zu öffnen und sich für die Wiedereröffnung der diplomatischen Vertretung der Palästinenser in Washington einzusetzen", wird sie in einem Artikel im Middle East Monitor zitiert.
Multilateralismus
Der Wiederaufbau der Beziehungen zu Amerikas ältesten Verbündeten könnte die größte außenpolitische Herausforderung für den neuen Präsidenten sein. Aber da die Vereinten Nationen in Bidens außenpolitischem Plan nicht einmal erwähnt wurden, bleibt die Frage, wie sehr die Weltorganisation im Weißen Haus priorisiert wird. Ein Hinweis: Biden hat bereits ein „UN- Überprüfungsteam“ in sein Übergangsteam etabliert. „Die Realität ist, dass China gerade jetzt auf der Weltbühne Schach spielt, während wir Dame spielen“, meint Hannum. „Sie verstärken ihre Bemühungen bei der UN sowohl in multilateralen Foren als auch bilateral mit wirtschaftlichen Initiativen wie der „Belt and Road“-Initiative, während wir uns von der Weltbühne zurückgezogen haben“.
Die englische Originalversion dieses leicht gekürzten Beitrags erschien am 17. November 2020 auf PassBlue.
Über die Autorin:
Stéphanie Fillion ist eine in New York ansässige Reporterin, die sich auf Außenpolitik und Menschenrechte spezialisiert hat und ist Koproduzentin von UN-Scripted, einer neuen Podcast-Reihe über globale Angelegenheiten. Sie hat einen Master-Abschluss in Journalismus, Politik und Global Affairs von der Columbia University und einen Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaft von der McGill University.
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